schallundrauch agency
Sich selber bierernst nehmen, das tut niemandem gut.
Die Tänzerin, Schauspielerin und Regisseurin Gabriele Wappel über Theater für junges Publikum, das Zulassen von Fehlern und die Rolle des Humors im Leben.
Die schallundrauch agency – Kompliment für den tollen Namen! – gibt es in Wien seit 2003. Gegründet wurde sie von Janina Sollmann und Gabriele Wappel, mit der wir ein Gespräch führten. Im Schnitt werden pro Jahr ein bis zwei Produktionen erarbeitet. Zu Beginn war es ein Zwei-Frauen-Unternehmen, in dem Sollmann und Wappel alleine für alles zuständig waren. „Vom Bühnenbild bis zum Kostümeinkauf bei Humana.“ Silvia Auer, die jetzt für Licht und Bühne zuständig ist, kam relativ rasch dazu. Das Team sucht für jede Produktion ein neues Thema, das dann intensiv erarbeitet wird. Die Bandbreite der Themen dabei ist groß. Zwar werden hauptsächlich Stücke für junges Publikum erarbeitet, der Komplex „Sexualität“ wurde aber auch mit einer „Blümchen-Sex-Performance“ im öffentlichen Raum begleitet, die dem erwachsenen Publikum viel Spaß bereitete und mit einem Picknick im Prater endete. Dann wieder waren Wappel und Sollmann „mietbare Engel aus dem Sonderangebot“ oder organisierten eine Publikums- Pyjama-Party, bei der sich „das tollste Publikum, das wir überhaupt je hatten“, für sein Pyjama-Outfit genierte.
Als Kind hatte Gabriele Wappel die Idee, für die Nachbarn Räder zu schlagen. „Die haben mir immer 10 Schilling dafür gegeben, da hab ich kleine Performances gemacht und mir damit mein Taschengeld aufgebessert.“ Auf die Frage, ob sie, die den Eindruck erweckt, ständig in Bewegung zu sein, denn ein unruhiger Geist sei, kommt eine prompte Antwort: „Ja, das war ich schon immer. Stillsitzen in einem Büro, wie ich es kurz einmal probierte, geht überhaupt nicht. Ich brauche das Konkrete und da ist der Tanz schon sehr gut dafür. Mann muss dabei hundertprozentig bei sich sein.“
Schon während ihres Studiums „Pädagogik für zeitgenössischen Tanz“, war ihr klar, dass sie auch selbst aktiv sein wollte. Selbst tanzen, kreativ sein, „etwas erfinden“, wie sie sich ausdrückte. Maßgeblich beeinflusste sie auch der australische Performer Andrew Morrish, der alle seine Perfomances ad hoc vor dem Publikum improvisiert. „Morrish erzählt etwas und bewegt sich dazu und fesselt einen von Anfang bis zum Schluss. Das hat mich enorm beeindruckt.“ In einigen Workshops, die die junge Frau bei ihm belegte, konnte sie lernen, dass er die Menschen so brieft, dass sie Dinge machen, die für sie selbst interessant sind. Etwas, dass ihr bis heute nicht nur wichtig ist, sondern zum zentralen Thema ihrer Arbeit überhaupt wurde.
Die Ausgangsbasis zu einem Stück ist zwar eine Idee, aber wie diese umgesetzt wird, was sich daraus entwickelt, wird erst bei den Proben erarbeitet und letztlich festgelegt. Für das Stück „Gabi hat Glück“, griff Wappel auf ein persönliches Erlebnis zurück, einen Skiunfall, den sie als Jugendliche hatte. Zugleich war der Unfall die „größte Entdeckung“ ihres Lebens, wie sich im Arbeitsprozess herausstellte, denn damit verbunden, wurde ihr die Endlichkeit des Lebens bewusst. Eingepackt war das ernste Thema aber in ganz viel Spaß. Humor scheint eine der Haupteigenschaften des quirligen, schlanken Multitalents zu sein, das auf der Bühne das Publikum regelmäßig zu Lachstürmen hinreißt. „Sich selber bierenst nehmen, das tut niemandem gut!“, ist eine ihrer Maximen.
Im allerneuesten Stück, an dem Wappel gerade arbeitet, geht es um Sucht, Suche und Sehnsucht. „Etwas, das mich sehr interessiert, weil ich selbst lange geraucht habe“. Ohne Interesse und Dahinterstehen geht nichts, denn „wenn man selbst nicht dahintersteht, merkt das Publikum das sofort. Im Kinder- und Jugendbereich ist das noch viel stärker der Fall. Die Kinder und Jugendlichen merken sofort, wenn man ihnen etwas vorspielt und so tut, als wär` man auch jugendlich.“ Bei der Stückentwicklung selbst arbeitet die Crew mit sogenannten „Partnerklassen“ zusammen, geht in die Schulen bzw. Horte, redet mit den Schülerinnen und Schülern, macht Performances und Tanzworkshops mit ihnen. Danach werden die Kids eingeladen, zu einer offenen Probe zu kommen. Dadurch erhalten die Kreativen zu einem frühest möglichen Zeitpunkt schon Feedback. „Einmal hat uns eine Gruppe eine ganze Szene für ein Stück geschenkt, ein anderes Mal bekamen wir Textzeilen für ein Lied.“ In dieser Art formulieren aber nur die älteren Jugendlichen ihre Wünsche für ein Stück, bei den ganz Kleinen geht es darum, ihre Reaktionen einzuschätzen und damit zu interagieren. Vorschulkinder, noch nicht gesellschaftskonform verbildet, können einen aber schon einmal aus dem Tritt bringen. O-Ton Wappel: „Bei „Mim Zug“ singt Sebi (Anm: Sebastian Radon) sein Lied über das Zugfahren. Und da kam einmal ganz laut das Statement von einem Kind aus dem Publikum „Der singt ja lauter Blödsinn!“, in dem Moment denkt man dann: „Das ist jetzt alles nicht wahr!“ Für dieses Stück wurde die „Feldforschung“ bei einem Praterbesuch mit einer Fahrt mit der Lilliputbahn durchgeführt. Hätte das Team Außenstehende dabei informiert, dass ihr Prater-Treiben ein berufsbedingtes ist, hätte es wahrscheinlich nicht viele Menschen gegeben, die ihm das geglaubt hätten.
Wappel macht keinen großen Unterschied bei der Erarbeitung eines Stückes im Hinblick darauf, ob es für Erwachsene oder Jugendliche konzipiert ist. „Vielleicht, weil ich Kinder ernst nehme, aber auch, weil man natürlich die Erwachsenen auch immer mitdenkt. Sie kommen ja auch mit ins Stück. Aber ich glaube, wenn wir die Stücke nur für Erwachsene machen würden, wäre nur die Art des Erzählens vielleicht ein wenig anders. Sarkasmus zum Beispiel versteht man erst ab einem bestimmten Alter, zuvor nimmt man die Aussagen ja für bare Münze. Unsere Stücke sind aber tatsächlich für alle gedacht. Beginnend ab vier oder 10, ohne Limit dann nach oben.“
Der Dschungel Wien ist für die schallundrauch agency, so wie für viele andere freie Gruppen auch, so etwas wie eine Heimat. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, dann hätte Wappel aber gerne einen Ort, an dem die Kinder und Jugendlichen die vielen Schichten des Theaters kennenlernen und damit auch arbeiten könnten. Vom Bühnenbild bis hin zu den Werkstätten würde sie alles öffnen. Und sie würde noch stärker mit den Jugendlichen zusammenarbeiten, was derzeit zwar möglich ist, aber aufgrund des Budgets eben immer nur mit einem kleinen Arbeitsfenster ausgestattet wird. Drehbühnen und richtig viele Darsteller, das wäre auch ein Wunschtraum der Theaterfrau. „100 Leute oder mehr, die alle rauchen, für einen Auftritt vor dem Dschungel, das wär was!“ Ein Flashmob würde da vielleicht ohne finanzielle Ausstattung Abhilfe schaffen.
Menschen, die schauspielern, haben oft ein sehr ausgeprägtes starkes Ego. Wie verhält sich eigentlich jenes von Gabriele Wappel?
„Ich hab` ein Ego, zu dem ich eine wechselhafte Beziehung hab, weil ich es manchmal mag und manches Mal weniger“, Wappel lacht über Ihre Aussage. „Aber ich glaube, dass man eigentlich der Sache dienen muss. Das ist nicht immer leicht, vor allem wenn man auf der Bühne etwas spielen muss, das einem nicht leicht fällt, oder wenn man von einer Seite beleuchtet wird, die einem nicht sympathisch ist. Wenn man aber über diese Grenze geht, dann wird´s für die Betrachtenden interessant. Wir machen in jedem Stück mindestens eine Sache, bei der wir uns nicht ganz sicher fühlen. Bei „Mim Zug“ fiel es uns nicht schwer, zum Beispiel mit dem Traktor zu fahren, aber Rollschuhfahren ohne Bremsen, davor hab` ich mich am Anfang schon gefürchtet und gedacht: na ja, ob sich das ausgehen wird? Und tatsächlich bin ich mir auch nicht sicher, ob sich das Bremsen bei jeder Vorstellung immer ausgeht. So etwas ist für mich aber immer wichtig. Oft ist das Nicht-Perfekte auch das Magische. Dazu zu stehen, etwas zu machen, das nicht perfekt ist, obwohl man den Anspruch dazu ja hat, finde ich wichtig. Man möchte ja immer, dass es toll klingt, man gut rüberkommt oder technisch gut tanzt. Aber das geht nicht immer. Dieses Dazustehen eröffnet, wenn man es zugibt, ein eigenes Spannungsfeld. Das Scheitern vor anderen ist für die Jugendlichen ein großes Thema. Aber eigentlich ist es illusionär, weil es niemandem gelingt. Bei Lehrern, Ärzten, Politikern gibt es den Anspruch der Unfehlbarkeit. Aber natürlich machen auch die Fehler. Fehler aber zuzugeben und zu sagen „da hab` ich nicht recht gehabt“, das gelingt aber nicht jedem. Das hat etwas mit seelischem Wachstum zu tun und nichts mit dem tatsächlichen Alter. Nicht nur Jugendliche, sondern auch viele Erwachsene haben damit ein Problem.“
Tatsächlich gab es auch ein Stück mit dem Titel „FLOP – a very bad and long performance“, in dem es übers Scheitern ging. „Dafür bauten wir einen Sündenbock, auf dem das Publikum seine größten Fehler schreiben konnte und der anschließend mit einem großen Ritual in die Wüste geschickt wurde. Dabei haben wir eine Unmenge Geschirr zerbrochen, denn wir versuchten, das am Kopf zu balancieren und gleichzeitig zu tanzen, was nicht möglich war.“
Die nächste Premiere „Giraffen summen“ ist ein Stück für Kinder ab 6 Monaten. „Wenn man klein ist, kommt einem die ganze Welt so groß wie Giraffen vor“, erklärt Wappel den Zugang der schallundrauch agency zu diesem Werk. „Kleine Kinder wollen immer hinauf zu den Großen, wollen hochgehoben werden. Das ist für mich eine Art Giraffensehnsucht.“ Bei dieser Veranstaltung bekommen die Babys nichts vorgespielt, sondern sie können sich selbst im Raum bewegen, herumkrabbeln. Es wird viel gesungen und gesummt. Eine Theatererfahrung, die auch für das Team selbst ganz neu ist, denn für so junges Publikum wurde noch nie gespielt. Janina Sollmann, die mit Gabriele Wappel gemeinsam die schallundrauch agency leitet, führt bei diesem Stück Regie, Wappel hat hier eine beratende Aufgabe und war gleich bei der allerersten Probe die Attraktion für die Kleinen. Vielmehr ihre mitgebrachte Banane, die den Performerinnen und Performern eindeutig die Show stahl. „Was lernt man daraus?, stellt die Performerin sich selbst eine rein rhetorische Frage, um die Antwort gleich nachzuliefern: „Banane weglassen oder einbinden!“ So ist das mit der Stückeentwicklung also.
European Cultural News, 2016
Janina Sollmann & Mona Wahba
Im echten Leben man selbst sein und auf der Bühne in
eine Rolle schlüpfen – oder umgekehrt? Mit unserer
Tanz- und Performancegruppe »schallundrauch agency«
realisieren wir Theaterstücke und Performances für
junges Publikum. Unsere Themen suchen und finden wir
oft in unseren Biografien, Authentizität auf der Bühne ist
uns wichtig. Während wir als PerformerInnen bei unseren
Stücken bewusst versuchen, wir selbst und möglichst
»privat« zu sein, stellen wir in unseren Projekten mit
Kindern und Jugendlichen immer die Frage an den
Anfang: »Was ist das Thema und wer möchte wie mit-
arbeiten oder performen?« Ob dann im Flashmob ein
gesellschaftspolitisches Anliegen lautstark in den öffent-
lichen Raum gebracht oder ein Bühnenstück erarbeitet
wird, bei dem die TeilnehmerInnen wahlweise in eine Rolle
schlüpfen oder sie selbst bleiben – was letztlich bei
unseren Workshops entsteht, ist immer Ausdruck des
kreativen Potenzials und der Wünsche und Gedanken
einer Gruppe von jungen Leuten.
Im Rahmen des Schwerpunktes von KulturKontakt
Austria »Mit kultureller Bildung Demokratie gestalten!«
setzen wir im schulischen Umfeld Projekte für Kinder und
Jugendliche zur Gender-Sensibilisierung um. »Ich bin
Mensch – reicht das nicht?« ist ein Workshop, der
SchülerInnen den Rahmen bietet, sich mit Stereotypi-
sierungen von Mann und Frau zu beschäftigen. Die Teil-
nehmerInnen können sich dabei im geschützten Raum
ausprobieren und werden von uns angeleitet, über eigene
und vorgelebte Verhaltensmuster nachzudenken. Über-
spitzte Darstellungen und das Spielen mit Klischees
fördern Diskussionen zu einer pluralistischen Sichtweise
auf die Welt. Nicht selten ist es das Ausprobieren und
Aneignen von alternativen Handlungsmöglichkeiten und
Ausdrucksformen, das große Freude bereitet und den
jungen TeilnehmerInnen Räume eröffnet. In einem Work-
shop führte der spielerische Wechsel von Identitäten und
Geschlechtern dazu, dass am Ende die Jugendlichen ihre
gesellschaftliche Rolle in Bezug auf Gender-Klischees
hinterfragten.
In unserer Arbeit mit jungen Menschen verbinden wir
Elemente des Theaters, des Tanzes und der Performance
und stellen das Arbeiten mit dem Körper in den Mittel-
punkt. Differenzerlebnisse zwischen sich selbst und den
anderen, zu der »Rolle« oder zwischen Fantasie und
Alltagswelt fördern eine neue Sichtweise auf das eigene
Ich und auf die Gesellschaft. Authentizität und das
Wertschätzen der Gedanken der Kinder und Jugendlichen
fördern dabei die Verbindung von dem Erlebten im
Theaterraum mit dem Leben im Alltag.
In real life we are ourselves and on stage we play a role –
or is it the other way round? With our dance and perfor-
mance group »schallundrauch agency« we realise theatre
pieces and performances for young audiences. We often
seek and find our subjects in our own biographies; authen-
ticity on stage is important to us. While we, as performers,
consciously strive to be ourselves and as »personal« as
possible in our pieces, in our projects with children and
young people we always first ask the question: »What is
our subject, who wants to participate or perform, and
in what way?« Whether we then bring a socio-political
concern to public notice in a flashmob or develop a piece
of theatre in which the participants have the choice
of slipping into a role or remaining themselves, what
ultimately evolves in our workshops is always an expres-
sion of the creative potential, wishes and thoughts of
a group of young people.
Within the framework of KulturKontakt Austria’s focus
on »Shaping Democracy through Cultural Education«, we
are implementing gender sensitisation projects for children
and young people in the school context. The workshop
»Ich bin Mensch – reicht das nicht?« (I’m A human Being –
Isn’t That Enough?) offers pupils a framework in which to
explore the stereotyping of men and women. In a protected
space, the participants can experiment with their own
ideas and, with our guidance, reflect on their own patterns
of behaviour and on the role models that influence them.
Exaggerated representations and playing with clichés
stimulate discussions about a pluralistic view of the world.
It is not unusual for the young participants to find that
trying out and adopting alternative possibilities for action
and forms of expression gives them great pleasure and
opens up new perspectives. In one workshop, changing
identities and genders through role-playing resulted in the
young people’s questioning their roles in society in relation
to gender clichés.
In our work with young people, we combine elements of
theatre, dance and performance, placing a focus on work
with the body. Experiencing differences between oneself
and others, between oneself and a »role«, or between
imaginings and the everyday world helps to develop a
new outlook on oneself and on society. At the same time,
authenticity and respect for the thoughts of the children
and young people helps them to make a connection
between what they experience in the context of theatre
and the experiences of their everyday lives.
KKA magazine, Winter 2015/2016