Rauchpause
Aufgenommen in die Falter Theater-Top10 des Jahres 2016
Schallundrauch, fast ohne Rauch
Die letzte Produktion von Gabi Wappel und ihrer Schallundrauch Agency trug den Titel „Gabi hat Glück“. Die neue könnte heißen: „Gabi hat Tschick“. Es geht nämlich ums Rauchen. Gabi möchte eine „Rauchpause“ einlegen, eine Pause vom Rauchen also („Wenn ich 80 bin, fang ich wieder an“). Der moralische Zeigefinger, den die Behandlung dieses Themas vor einem Publikum ab zwölf vermuten lässt, ist zwar da, aber eingewickelt in zarten Humor und leichtfüßiger Poesie. Auf der Bühne steht etwa ein Zimmervulkan: ein Vorschlag für alle, die auf Entzug den Rauch vermissen. Die Performanden (Gabi Wappel, Marco Payer, Elina Lautamäki) gewinnen das Publikum binnen weniger Minuten durch ihre Persönlichkeiten und zeigen auch die schönen Aspekte von Süchten auf. Schließlich ist Sehnsucht auch eine. Große Empfehlung für Raucher und Nichtraucher.
Martin Pesl, Falter, Kinder Tipps, 07.12.2016
Tschick, Bananen und andere Süchte
„Rauchpause“ – eine witzige, verspielte, spielfreudige Performance rund um Süchte und Genießen.
So viel Lachen bei einem „Problemstück“ war selten. Lustvoll, stark, verspielt, schräg, sehr persönlich und damit voll authentisch tanzen, performen, singen und spielen Elina Lautamäki, Marco Payer, Gabriele Wappel in „Rauchpause“ über Süchte. Nie mit erhobenem Zeigefinger, ja nicht einmal wirklich „pädagogisch“, sondern grundehrlich und sehr, sehr humorvoll, im wahrsten Sinn des Wortes ver-rückt. Schon der Titel ist das genaue Gegenteil des üblicherweise verwendeten Begriffs. Wird unter Rauchpause normalerweise verstanden, dass jemand Pause von der Arbeit oder was auch immer braucht, um der Nikotinsucht zu frönen, versteht die „schallundrauch agency“ den Titel genau umgekehrt – als Pause vom Rauchen.
Schleich dich, Tschick!
Das war auch der Ausgangspunkt für die Gruppe in ihrem mittlerweile üblichen Arbeitsprozess. Ein Thema ist da, die Mitwirkenden recherchieren, spielen, proben, probieren aus, Gedanken, Bewegungen, Musik, Gegenstände werden aufgenommen, weiterentwickelt, andere verworfen – die einen leichten, viele andere schweren Herzens. Eine Szene über Handy – oder vielmehr Smartphone-Sucht wurde im Probenprozess schnell wieder rausgekippt, weil sie die Akteur_innen richtig aus dem Bühnenspiel gebracht hat. „Wir konnten nicht tanzen, uns nicht gscheit bewegen, weil wir uns so aufs Tippen konzentriert haben und die Stimmung dabei keine Gute war“, wie Gabriele Wappel – mit-Akteurin, Regisseurin und Gruppen-(Mit-)Gründerin zum Kinder-KURIER.
Diese Gabi – die Akteur_innen treten in den Stücken der „schallundrauch agency“ in der Regel mit ihren echten Namen auf, weil auch die verhandelten Geschichten und Geschichterln von ihnen selbst erlebt wurden und handeln – liest einen witzigen Abschiedsbrief an ihre letzte Zigarette vor. Ein Beziehungsdrama das zu Ende geht. Aus. Schluss. Und das noch mit einem Song „Hit the Road Tschick“ zur Melodie des fast gleichlautenden „Hit the Road Jack“ (Hau ab, Jack), das vor mehr als 50 Jahren in der Version von Ray Charles (als Duett im Margie Hendricks) wochenlang Nummer1-Hit war.
Brauchst a Banane?
Elina, die schon eingangs als Fischfrau mit Sirenengesängen (in der griechischen Mythologie lockten die Sirenen mit ihren bezaubernden Gesängen Seefahren an, um sie ins Verderben segeln zu lassen) betört, gibt sich ihrer Sucht nach Bananen hin, die von den beiden anderen als DIE Droge schlechthin angesehen wird. Marco frönt vor allem exzessiven Tänzen, in denen er vor allem inmitten aller anderen für und mit sich allein ist.
Fenster- und Ladensucht
Viele Facetten rund um Sucht(verhalten) – woher, wie, warum... – entfalten sich auf der Bühne durch situationskomische oder wortspielerische Darstellungen der drei Performer_innen. Da es (fast) nichts gibt, wonach nicht wenigstens irgendwer süchtig werden könnte, fallen in einer Brainstorming-Szene Beispiele von Fenstersucht (in alle Fenster reinschauen zu müssen) über eine ähnliche die Schubladen und Kästen betrifft bis zu Sternschnuppen – und jender danach, „ständig Fotos von der letzten Tschick zu schießen“. Womit sich der Kreis fast geschlossen hätte – samt dem David-Bowie-Song „Ashes to Ashes“ ;)
Halt, kein Bad End. Am Ende steht ein Plädoyer fürs lustvolle miteinander Genießen – in Maßen.
Crazy
Achtung: Diese nicht ganz einstündige Performance im Dschungel Wien kann zu Lach-Muskelkater führen. Vielleicht trifft auf vieles das finnische Wort „syntymästä humalassa“ zu. Auf Deutsch heißt dies „von Geburt an besoffen“ und entspricht am ehesten unserem „ver-rückt“ oder dem Englischen „crazy“.
Heinz Wagner, Kurier, KiKu, 15.12.16
Sucht und Suche
Rauchpause /// schallundrauch agency /// Dschungel Wien /// 12+ /// Timon Mikocki
Begleitet vom klassischen Klang des Blumenduetts aus „Lakmé“ (dem jungen Publikum besser bekannt aus der Darbo-Werbung) schaffen drei SchauspielerInnen allerlei Geraffel auf die Bühne und stürzen dabei immer wieder kraftlos zu Boden – ein performativer Vorgeschmack auf das Thema. Sie stellen sich und ihre liebsten Dinge vor: Gabriele liebt das Meer, Marco mag Gulasch und Elina aus Finnland will nach Sri Lanka. Ein leichtfüßiger Einstieg in ein schwieriges Thema: um Süchte, ums Rauchen und Saufen, eingeübte Gewohnheiten und deren soziale Implikationen geht es im neuen Stück von schallundrauch. Die agency bleibt ihrem experimentierfreudigen Zugang auch diesmal treu.
Gabriele möchte die Uraufführung dazu nutzen, live mit dem Rauchen aufzuhören. Dafür richtet sie einen lustigen Abschiedsbrief an die letzte Zigarette, danach intoniert sie „Hit the Road, Tschik!“. Weil das neue Bühnengesetz verbietet, Drogen auf der Bühne zu zeigen, behilft man sich anderer Mittel: Am „Suchtaltar“ stehen Kaugummitschik, an anderer Stelle wird ausgerechnet eine Banane zum gefährlichen Objekt der Sucht. Absurd und ironisch verhandelt das Dreiergespann sein Thema, ohne durch zu viel Distanz die Anhaftung zu verlieren. Marcos Tanz mit sich selbst und Elinas zum Teil selbst komponierte Musikstücke durchspielen die verschiedenen Suchtverhalten auf sehr zugängliche Weise. Sucht, so lernt man, kommt von siechen, und auch die Sehnsucht hat damit was zu tun. Wunderbar direkt ist die Szene, in der eine Art Gebärdensprache die Nervigkeit von Elternfragen auf die Spitze treibt. Eine andere behandelt die Schwierigkeit von Entscheidungen bei Überangebot, oder die philosophische Erkenntnis, dass „ich viel mehr nicht bin, als ich bin“.
Wappel ist eine Meisterin im Finden von leichten Metaphern für Problemthemen. Die Regisseurin hat in diese 55 Minuten fast zu viele Ansätze reingepackt und so wirkt das Stück wie ein gereiftes Brainstorming: Die Suchbewegung der Proben ist noch deutlich erkennbar. Obwohl die einzelnen Abschnitte unterschiedlich, die Themen nur lose eingegrenzt sind, obwohl kein offensichtlicher dramaturgischer Bogen existiert, folgt man den persönlichen Spielen aber aufmerksam. Es muss nicht immer tragisch sein, wenn über Süchte gesprochen wird: Lust und Flexibilität gewinnen über Pädagogik und den erhobenen Zeigefinger. Das Reden selbst ist das Wichtige. Der Zugang ist deshalb gelungen, weil der „Selbstversuch“ sehr subjektiv erfolgt und dennoch allen Anknüpfungspunkte bietet. Auch den 13- und 14-Jährigen im Publikum, für die die besprochenen Süchte hoffentlich noch nicht lebensbestimmend sind.
Timon Mikocki, Junge Kritik, 26.11.2016