Björn ohne Bretter

Jede Vorstellung eine überraschende Premiere

Die Performancegruppe „schallundrauch agency“ spielt „Björn ohne Bretter“ im Dschungel Wien.

Fast eine Stunde immer wieder staunen und nicht zu wenig lachen – das erwartet die Besucher_innen der Performance „Björn ohne Bretter“ der Gruppe „ schallundrauch agency“. Was genau sie zu sehen, hören und erleben bekommen, kann gar nicht wirklich beschrieben werden – jede Aufführung ist eine wirklich Premiere. Nicht ein bisschen, sondern ziemlich anders. Immer auch beeinflusst von Schulklassen (derzeit Oberstufe, eine Version für und mit Volksschulklassen folgt Mitte April) mit denen Mitglieder der Gruppe im Vorfeld gearbeitet haben und die sich einiges wünschen durften. Die einen wollen, dass manche Wörter vorkommen, andere „bestellen“ Performance-Elemente, dritte – was auch immer ihnen einfällt.

Ob tanzend, singend, musizierend, akrobatisch oder was auch immer, Michael Haller, Elina Lautamäki, Jules Mekontchou, Sebastian Radon, Janina Sollmann, Šimon Voseček, Gabriele Wappel, Martin Wax haben viele Bewegungs- und Gesangselemente geprobt, wollen aber nicht nur dem Publikum, sondern auch sich selber überraschen. Deshalb, so Gabriele Wappel, eine der Gründerinnen der Gruppe, nach der Premiere zum Kinder-KURIER, „schauen wir uns auch selber erst kurz vor der Vorstellung die Wünsche der Klassen an, die an diesem Tag im Publikum sitzen, sonst würde manches vielleicht nicht so spontan entstehen!“

Prinzip Zufall

Fix ist eine Art von Struktur (Lied, Solo, Quartett, Duo usw.) – und auch deren Dauer – gestoppt mit bunten Sanduhren. Und die wird via Overhead-Folie an die Wand projiziert. Schon, wer dann das eine oder andere Duo oder gar Quartett performt, wird dem Zufalls-Ziehen von Kärtchen von Zuschauer_innen überlassen. Und doch scheint sich ein Thema durchzuziehen – das speilen und leben im Moment, eines der voreinstudierten Lieder heißt „Jetzt“. Und als „Ende“ scheint auf der Wand der Satz auf: „Ich balanciere im Nichts“. Ach ja, der Titel? Der wird kurz angesprochen – ist aber einem Workshop entliehen, den die Gruppe vor etlichen Jahren ebenfalls im Dschungel Wien abgehalten hat – und der genau so offen war für alles, was sich im Laufe der Arbeit entwickelt(e).

Heinz Wagner, KinderKurier, 22.03.2018


schallundrauch agency: „BJÖRN OHNE BRETTER“

Mit ihrer neuen Produktion „Björn ohne Bretter“ begibt sich die 2003 gegründete Wiener Performancegruppe rund um Gabriele Wappel und Janina Sollmann mitten hinein in das Universum an Fragen rund um das Hier und Jetzt. Ganz konkret natürlich in jenes der Performance und die ihr eigene „Magie des Moments“. Dass es dabei holprig wird und eben nicht alles „wie geplant“ seinen gelungenen, weil vorgegebenen Weg nimmt, ist dann der Performance über das Phänomen Performance natürlich immanent. Es holpert eben, dieses Leben, selbst, wenn man es von (magischem) Moment zu Moment lebt.

Zu Beginn stehen sie im Raum, die acht PerformerInnen, die sich dem Publikum mit ihren „echten“ Vornamen vorstellen: Elina, Gabriele, Janina, Jules, Martin, Michael, Sebastian, Simon. Sie haben einige Dinge vorbereitet für das Publikum und die kommenden 50 Minuten, Lieder – gemeinsam, im Quartett, Duett und als Solo. Geschichten über sich selbst. Und eine Art Zeit-Plan, der als dauerpräsente Overhead-Folio rechts hinten auf der Bühne auch den räumlichen Rahmen gibt. Hier wird man immer wieder „andocken“, um sich des eben Entstandenen (und damit auch schon wieder Gewesenen) zu versichern, zu notieren, Notizen zu ergänzen, Erledigtes abzuhaken. "Jetzt jagt über das Sein.“ (Elina Lautamäki). Alles andere – selbst das Bühnenbild, das zu einer anderen Produktion gehört – ist nicht Teil dieses Stückes, das so sehr in den Momenten entsteht, die es erzeugt, wie es durch die Mitwirkung des Publikums (es werden immer wieder „Lose“ gezogen, in welchen Konstellationen welche „Szenen“ entstehen, wer mit wem in den performativen Dialog treten soll und was für Themen in Folge durch die acht DarstellerInnen verhandelt werden) sukzessive ermöglicht und vorangetrieben wird. Hier ist alles Rahmen, Raum, Möglichkeit, da und dort auch Begrenzung, Vereinbarung, im Großen und Ganzen aber eine hoch musikalische Choreografie des Erlebens im Moment, des Seins im Moment und des zumindest an diesem Abend stets genüsslichen Gefühls, nie zu wissen, was als nächstes kommt: „Ich habe immer das Gefühl, ich weiß nicht ganz, was ich tue.“

Die „Magie“, die im Laufe der Performance entsteht – und von der schon im Foyer, in dem bereits vor dem eigentlich Einlass vom Nicht-Beginn und vom Gemeinsam-Sein gesungen wird –, ist also, so will es auch das erste Lied dann im Theatersaal, eine der magischen Verbundenheit zwischen biografischer Vergangenheit, gegenwärtigem Sein und einer Ahnung von dem, was noch kommen mag, zumindest gemäß dem „Plan“, dessen Projektion hinten die Vorstellung über den zeitlichen Rahmen absteckt, in dem diese performativen Miteinanders humorvoll, leicht und doch so nah an den beteiligten PerformerInnen und ihren jeweiligen Biografien an uns vorbeiziehen. Erzählt wird zwischen Moderieren, Singen und herrlich bemüht ernsthaftem gemeinsamen „Improtraining“ von sehr intimen Dingen, Pubertät und körperlichen Idealen, denen „man“ so gar nicht entspricht, von Geschwistern und Freundschaften, Familie und Tod. „Ich weiß nicht, was ich will“, sagt einer der Performer an einer Stelle, und an einer anderen wird vom Fremdsein und der Sehnsucht nach einem Freund erzählt. Da sind sie also, die so alltäglichen wie existenziellen Geschichten, klammheimlich und unaufgeregt haben sie sich zwischen die skurrilen Nicht-Choreografien und vier vorbereiteten Lieder geschwindelt. Und machen den Abend dann doch zu einem dichten Reigen an Geschichten über die Einzigartigkeit.

Björn ohne Bretter – das ist keine „Ikea“-Ware, wie sie in Millionen Haushalten angepasste gepflegte Eintönigkeit verspricht, sondern konzentrierte Ablenkung und der vergnügliche Versuch, die Einzigartigkeit des Unwiederholbaren im Korsett des Lebens zu feiern. Wenn schon stolpern, dann mit Musik (Ensemble schallundrauch agency) Vereinbarungen werden getroffen und wieder aufgehoben, weil es der Moment erlaubt. Gewissheiten werden aufgestellt und im nächsten Moment widerlegt („Ich dachte, ich wüsste, was ich bin, ich habe mich geirrt.“). Wahrheiten werden ausgesprochen, von denen man kurz danach schon nicht mehr weiß, ob sie es sind. Alles ist klar und da und doch nur der Magie des Augenblicks verhaftet („Ist das Jetzt jetzt?“). Ja, die Magie des Moments bei „Björn ohne Bretter funktioniert. Aus dem „magic bending“ ist ganz still und leicht ein „magic bonding“ geworden. Man ist am Ende des Abends im Jetzt gelandet. Doch auch das ist natürlich „Schall und Rauch“ und letztlich nur eine Vereinbarung. Und so heißt es dann zum Schluss auch ganz konsequent: „Ich will aber gleich.“ Und der Moment löst sich auf in einen großen, verdienten Applaus.

Angela Heide, Tanzschrift, 03.04.2018


Ein Affe am Klavier mit Melone - aber nicht jedes Mal

"Björn ohne Bretter" - nun auch für Kinder ab 6 Jahren. Jede Vorstellung ist überraschend - für Publikum und die Mitwirkenden.

Von einem Affen am Klavier mit Melone, oder doch eher an der Gitarre wird zu Beginn gesungen. Das heißt nein, wurde gesungen bei der Premiere am Donnerstagvormittag. Was bei der nächsten Vorstellung gesungen und später auch gespielt wird, kann noch niemand sagen/schreiben. Die „schallundrauch agency“ spielt in „Björn ohne Bretter“ jedes Mal Überraschendes – und gerade der Eröffnungssong wird gespeist aus Inputs des Publikums. Einige der acht Performer_innen gehen durch die Reihe der Wartenden und fragen sie nach Lieblingsworten...

Unter dem selben Titel spielte die Gruppe vor drei Wochen auch im Dschungel Wien, in einem anderen Saal, eine Version für Jugendliche. Nun ist die für Kinder ab 6 Jahren dran. Fix ist wieder die Struktur – drei Lieder, Soli, Duos, Quartette. Wieder wird gezogen, wer da dran kommt. Und aus dem Probenprozess fließen spontan passende Tanzbewegungen und (ausgedachte) Geschichten aus der Kindheit der Mitwirkenden ein, darunter eine völlig schräge von einem Superdetektiv, der nie Fälle aufklärt, aber immer auf der Spurensuche ist – mit ausgefallenen Ideen, die halt nie funktionieren.

Im Gegensatz zur Version ab 14 Jahren gibt‘s hier mit den (jungen) Besucher_innen eine gemeinsame bewegte Schluss-Sequenz.

Heinz Wagner, KinderKurier, 12.04.2018


Björn macht auch ohne Schraubenzieher Spaß

Funktioniert eine Theaterproduktion, die nicht geprobt werden kann? Haben Kinder Spaß, wenn ihnen nicht eine durchgehende Geschichte präsentiert wird? Kann man eine Inszenierung nach einer „Bauanleitung“ gestalten?

Die schallundrauch agency von Gabriele Wappel und Janina Sollmann begaben sich mit ihrer neuen Produktion „Björn ohne Bretter“ auf bis dahin von ihnen noch nicht erprobtes Terrain. Sie wollten versuchen, ob es möglich ist, eine Theaterproduktion so zu gestalten, dass jede einzelne Aufführung einzigartig ist. Sowohl für das Publikum als auch für das Ensemble.

Und so kamen sie auf die Idee, ein Raster zu erstellen, das zwar die Grundstruktur der Vorstellung vorgab, dessen Protagonistinnen und Protagonisten jedoch vom Publikum durch die Ziehung von Karten blind bestimmt wurde. Auf diese Weise ergeben sich für das 8-köpfige Schauspielteam bei jeder Vorstellung neue Kombinationen in der Besetzung der vorgesehenen Soli, Zweier- und Viererauftritte. Einzig drei Songs, so ins Ohr gehend und vom Refrain her easy zu merken, dass leicht mitgesungen werden kann, sind dabei fixe Punkte.

Der Titel der Vorstellung „Björn ohne Bretter“ rührt von der Bauanleitungs-Idee her, die im Möbelbau global durch ein „unmögliches Möbelhaus aus Schweden“ bekannt wurde. Nur dass eben Wappel und Solimann weder richtige Bretter zusammenschrauben, noch Bühnenbretter benötigen, um ihr Stück spielen zu können, sondern eine Anleitung zur Stückegestaltung als Raster ohne konkrete, weitere Angaben verwenden.

Der Inhalt ist aufgrund der wechselnden Personen-Konstellationen nicht wirklich festgelegt. Die einzelnen Szenen holen die Kinder und Jugendlichen aber da ab, wo sie sind. Sie setzen kleine Spots auf den Umgang mit Freundschaften und Rivalitäten, sie erzählen von Kindheitserlebnissen und -träumen und sie verbreiten das Gefühl, an etwas teilzuhaben, das es nur im Hier und Jetzt gibt. Mit einer Dreier-Kontaktimprovisation beeindruckten am besuchten Spieltag Martin Wax, Gabriele Wappel und Simon Vosecek gleich zu Beginn der Aufführung. Während akrobatische Bewegungsmuster die Körper der Drei verbinden, erzählt Gabi locker und flockig, dass sie, als sie noch sehr klein war, Teil einer Bande war, in der ihr nur ihr großer, schwarzer Hund zu Respekt verhalf.

Michael Haller berichtet in seinem Solo über seine höchst unergiebigen Detektivversuche als Junge, Jules Mekontchou und Elina Lautamäki können sich ohne Brille und mit geschlossenen Augen nicht finden und suchen vergebens nach Schokolade und Sebastian Radon und Janina Solimann streiten munter drauf los, wer von ihnen denn nun der erste und der zweite „Mag“ seien.

Als das Publikum schließlich aufgefordert wird, selbst mitzumachen, ist die Stimmung im Saal auf dem Höhepunkt. Dass nach Vorstellungsende niemand nach Hause gehen mag, zeigt, wie gut das Experiment „Björn ohne Bretter“ funktioniert. Auch so kann man junges Publikum fürs Theater begeistern.

Michaela Preiner, European Cultural News, 14.04.2018